Geschäftsbericht
2020 - 2021

Künstliche Intelligenz (KI) →→→  Die Begriffe Algorithmen, Data Science, Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (KI) sind derzeit in aller Munde. Auch DEKRA hat Nägel mit Köpfen gemacht – und 2020 den AI Hub gegründet. An der Spitze stehen zwei erfahrene Experten: Dr. Tarek R. Besold und Dr. Xavier Valero. Im Interview erklären sie, warum es wichtig ist, KI sicher zu machen, wie DEKRA das Potenzial der Technologie nutzen wird und welche Services durch KI profitieren werden.

KI

DEKRA Digital

GAMECHANGER

DEKRA wird zum verlässlichen Vermittler für Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence, AI). Durch den AI Hub, getrieben von DEKRA DIGITAL, positioniert sich die Expertenorganisation DEKRA als neutraler Partner (3rd party) für KI-Regulierung und -Zertifizierung.

Dr. Tarek R. Besold → kennt Künstliche Intelligenz (KI) sowohl von der akademischen als auch von der Business-Seite. Nach seiner Promotion in Kognitionswissenschaften blieb er zunächst der Wissenschaft treu – erst in Deutschland, dann in Italien, später in Großbritannien. 2018 schloss er sich „Alpha“ an, der Innovationseinheit von Telefónica in Barcelona, bevor er mit einem Berliner Start-up an KI-Sicherheit arbeitete. Seit Februar 2021 ist er „Head of Strategic AI“ bei DEKRA DIGITAL.

Dr. Xavier Valero → bringt über 13 Jahre Erfahrung in den Bereichen „Data Science“ und KI mit in den DEKRA Konzern. Während seiner Doktorarbeit über Maschinelles Lernen sammelte er unter anderem Erfahrung in der Banken- und Telekommunikationsbranche. Immer mit dem Ziel, aus Daten einen geschäftlichen Erfolg zu machen. Zuletzt war Xavier für das Thema „Big Data“ und KI bei einem führenden Anbieter von Ultraschall-Pipeline-Prüfungen verantwortlich. Im März 2021 schloss er sich DEKRA DIGITAL als „Head of Applied AI“ an.

Viele nennen KI den „Gamechanger“ des 21. Jahrhunderts – was bedeutet der Begriff und was macht Künstliche Intelligenz eigentlich so besonders?


XV: Eine Definition von Künstlicher Intelligenz könnte beispielsweise lauten: KI versucht, Maschinen intelligent zu machen. Das heißt: Maschinen die Fähigkeit zu geben, in einer bestimmten Situation angemessen und mit Weitblick zu agieren.

TB: Sicherlich ist KI ein besonderes Technologiefeld, aber man sollte es eher als den nächsten Schritt der Automatisierung betrachten: Eine smarte Heizungssteuerung oder ein auf Effizienz automatisierter Fabrikroboter sind nur zwei Beispiele dieser Weiterentwicklung. Aus dieser Perspektive steht KI in einer langen, aber direkten Linie mit den ersten mechanischen Webstühlen des 19. Jahrhunderts.

Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis – das gilt auch für neue Technologien wie KI. In der öffentlichen Diskussion kommt daher immer wieder eine Frage auf: Wie macht man Künstliche Intelligenz sicher? Ist es überhaupt möglich, KI zu standardisieren und regulieren?


XV: Innovative, vernetzte und smarte Produkte können erst ihr volles Potenzial entfalten, wenn man sie sicher einsetzen und nutzen kann. Bei DEKRA DIGITAL sind wir davon überzeugt, dass Nutzerinnen und Nutzer ohne unabhängig bestätigte Sicherheit kein Vertrauen zu Innovationen und neuen Technologien aufbauen können. Das gilt auch für Künstliche Intelligenz.

TB: Eine Regulierung und Zertifizierung von KI ist daher wichtig und richtig, vor allem im Markt- und Lebenskontext. Sobald Lösungen, die KI enthalten, mit Anwenderinnen und Anwendern oder anderen Systemen zusammenarbeiten müssen, kommen Regeln ins Spiel. Hinzu kommt der ethische Aspekt: Die Gesetzgebung setzt einen Rahmen, was KI darf und was nicht. Das hilft auch dabei, Künstliche Intelligenz transparenter zu machen. Durch technische Standards und Normen lassen sich diese Regularien dann bindend umsetzen – und durch unabhängige Dritte zertifizieren.

Stichwort Gesetzgebung: Die Europäische Union hat sich vorgenommen, nur sichere und geprüfte KI zuzulassen. Wie müssten dementsprechende Gesetze aussehen, damit KI wirkungsvoll reguliert werden kann?


TB: Hier kommt gerade Bewegung rein, sowohl auf Seite der Standardisierungsorganisationen als auch bei den Gesetzgebern auf nationaler und internationaler Ebene. Zwar befinden sich viele Initiativen und konkrete Projekte noch in einer relativ frühen Phase, jedoch ist unter anderem ein erster „AI Management Systems Standard“ bei ISO/IEC in Vorbereitung. Außerdem arbeitet die Europäische Kommission an einer Grundlage zur Schaffung eines rechtlichen Rahmens, der für die Entwicklung und den Einsatz von KI dienen soll. Ein erster Entwurf des entsprechenden Rahmengesetzes wird voraussichtlich noch im ersten Halbjahr 2021 erwartet.

Konkrete, umsetzungsfähige gesetzliche Vorgaben fehlen also noch. Dennoch sind zahlreiche Produkte auf dem Markt, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten. Gibt es hier ein Spannungsfeld zwischen Innovation und „sicherer“ KI?


TB: In der Tat: Regulierungsbemühungen befinden sich noch in einem recht frühen Stadium, vor allem im Vergleich mit der Wachstumsgeschwindigkeit des KI-Markts. Einige sehr innovative Firmen schaffen Fakten mit innovativen Produkten, die bei Markteintritt eigentlich nicht ausreichend getestet sind. Zumindest nicht so intensiv wie früher bei „nicht“ smarten Produkten – eben deshalb, weil es noch kaum Regularien gibt.

XV: Worauf es ankommen wird, ist der reibungslose und effiziente Ablauf der Prozesse bis zur Regulierung und Zertifizierung und danach in der Umsetzung. KI ist sehr dynamisch und entwickelt sich in rasantem Tempo weiter. Die Regulierer müssen sich hier dem Marktgeschehen und dem dynamischen Technologieumfeld anpassen. Sonst klaffen das tatsächliche Geschehen und die regulatorischen Ideale auseinander.

Wie bringt man diese beiden Facetten zusammen – kommt hier DEKRA ins Spiel?


TB: Ausgehend von der seit fast 100 Jahren gelebten Identität als unabhängiger Dritter kann DEKRA eine Schlüsselrolle im KI-Ökosystem spielen: den vertrauenswürdigen Vermittler. Das heißt, DEKRA ist die vertrauenswürdige Partei, die zwischen den Marktteilnehmern vermittelt und die Einhaltung von gemeinsamen Standards unterstützt und überprüft. So kann sich das gesamte Ökosystem in eine für alle Beteiligten wünschenswerte Richtung entwickeln.

XV: Künstliche Intelligenz ist hier aber nur ein Teilaspekt, damit datengetriebene Produkte oder Services sicher sind. Cyber Security und funktionale Sicherheit sind ebenso wichtig. Hinzu kommt, dass es bei KI-Regulierung eines branchenspezifischen Blicks bedarf, den DEKRA ja bereits hat.

Wo liegt das Potenzial von KI für DEKRA? Und wo könnte Künstliche Intelligenz bei DEKRA zum Einsatz kommen?


XV: KI als Technologiefeld wird für DEKRA in mehrfacher Hinsicht immer wichtiger: Mit KI lassen sich zum Beispiel interne Prozesse effizienter machen. Außerdem werden wir mit Hilfe von KI bestehende Produkte sowie Services verbessern und weiterentwickeln. Von automatisch erstellten Untersuchungsberichten bis hin zu smarten, kamerabasierten Prüfwerkzeugen ist vieles denkbar. Ein weiteres Beispiel: Je digitaler Fahrzeuge werden, desto mehr wird es notwendig, im Gegenzug intelligente Technologien zur Überprüfung der richtigen Funktion einzusetzen.

TB: Ein neues Geschäftsfeld für DEKRA ist sicherlich das Testen und Zertifizieren von Künstlicher Intelligenz. Sobald für KI-Systeme regulatorisch definierte Anforderungen bestehen, wird DEKRA deren Einhaltung als neutrale, unabhängige Stelle testen und zertifizieren. KI als Technologie bringt hierbei neue Herausforderungen: So ist es etwa notwendig, selbstlernende Systeme – anstelle der früher hauptsächlich punktuellen Testparadigmen der Vergangenheit – fortlaufend zu testen. Das Stichwort lautet „permanent monitoring“.

Um dieses Potenzial auszuschöpfen, hat DEKRA 2020 den AI Hub gegründet. Was ist das Ziel eures Teams?


TB: Wir wollen KI bis 2025 als eine wesentliche Wertschöpfungsquelle für DEKRA etablieren. Die dafür notwendigen Aktivitäten lassen sich in drei Punkten zusammenfassen:

  • Erstens die Schaffung eines zentralen Anlaufpunkts für KI-Initiativen und KI-Enthusiastinnen und -Enthusiasten innerhalb von DEKRA.
  • Zweitens die Umsetzung von KI-Projekten innerhalb von DEKRA: von der Optimierung bestehender Prozesse und existierender Produkte bis hin zur Schaffung neuer Service- oder Produktangebote.
  • Drittens das Etablieren von DEKRA als aktiver Teilnehmer und zukünftig zentraler Pfeiler eines auf Qualität und Sicherheit bedachten KI-Ökosystems im Wechselspiel mit Herstellern, Nutzern und Regulierern.

Gibt es bereits erste KI-Projekte und wie sehen diese aus?


XV: Konzernintern ist schon einiges am Laufen. Erste Use Cases sind beispielsweise eine Bilderkennungssoftware, die Daten auf Fahrzeugscheinen automatisch ausliest, ein Fahrzeugscanner, der mit Hilfe eines Algorithmus Schäden erkennt, oder unser Testlabor, das Produkte prüft, in denen Alexa verbaut ist. Die wichtigste Erkenntnis lautet: Wenn sich Testobjekte technisch verändern, müssen auch wir unsere Prüfmethoden anpassen.

Dieses Wissen wird in kommende Services einfließen, die aktuell entwickelt werden. Auch bei der technischen Umsetzung und beim Einsatz von KI-Lösungen bauen wir auf bestehende Kompetenzen. Unsere Big Data-Teams in Málaga, Spanien, spielen hier eine tragende Rolle. Aber auch die Zusammenarbeit mit Partnern und Start-ups werden wir verstärken.